Wenn EU-Richtlinien kollidieren – Mutterschutz vs. Massenentlassung

Joachim Schwede Archiv Leave a Comment

Nach Ansicht der Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof Eleanor Sharpston ist eine Massenentlassung nicht immer ein “Ausnahmefall“, der die Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen erlaubt. Im Zusammenhang mit einer Massenentlassung dürfe eine solche Kündigung nur in nicht mit der Schwangerschaft in Zusammenhang stehenden Ausnahmefällen erfolgen, wenn keine andere annehmbare Möglichkeit besteht, sie auf einer anderen geeigneten Stelle weiter zu beschäftigen (Schlussanträge der Generalanwältin vom 14.09.2017, Az.: C-103/16).

Was war geschehen?

Das spanische Unternehmen Bankia S.A. leitete eine Konsultation mit der Arbeitnehmervertretung im Hinblick auf eine Massenentlassung ein, woraufhin Kriterien für die Kündigung oder Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern festgelegt wurden. Danach übersandte Bankia einer Arbeitnehmerin, die zu diesem Zeitpunkt schwanger war, ein Kündigungsschreiben. Die schwangere Arbeitnehmerin focht ihre Kündigung mit einer Klage vor dem Arbeits- und Sozialgericht an, das zugunsten von Bankia entschied. Dagegen legte sie Rechtsmittel beim Obersten Gerichtshof von Katalonien ein, der den EuGH um die Auslegung des Verbots der Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen ersucht hat und insbesondere darum, wie dieses Verbot im Fall eines Massenentlassungsverfahrens auszulegen sei.

Wie wird die Entscheidung ausfallen?

Bevor der EuGH entscheidet, untersucht die Generalanwältin den Fall und unterbreitet dann einen Entscheidungsvorschlag („Schlussantrag“), dem das Gericht meistens folgt:

In ihren Schlussanträgen führt die Generalanwältin zunächst aus, dass die Mutterschaftsrichtlinie (RL 92/85/EWG) Arbeitnehmerinnen “während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs“ schützt, auch wenn sie ihrem Arbeitgeber noch nicht mitgeteilt haben, dass sie in anderen Umständen sind. Die Ausnahme, die eine Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen erlaubt, komme nur in nicht mit der Schwangerschaft in Zusammenhang stehenden Ausnahmefällen zur Anwendung. Dagegen regele die Massenentlassungsrichtlinie (RL 98/59/EG) Kündigungen bei Massenentlassungen und definiere sie als “Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt“.

Doch nicht jede Massenentlassung sei so ein “Ausnahmefall” im Sinne der Mutterschaftsrichtlinie. Daher sei es Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob im vorliegenden Fall die Massenentlassung als “Ausnahmefall” einzustufen ist. Darüber hinaus dürfe es keine annehmbare Möglichkeit geben, die schwangere Arbeitnehmerin auf einer anderen geeigneten Stelle weiter zu beschäftigen. Hierbei sei klar, dass “Weiterbeschäftigung auf einer anderen Arbeitsstelle” nicht dasselbe ist wie “Verbleib im Unternehmen”. Weiterbeschäftigung auf einer anderen Arbeitsstelle sei möglich, wenn eine solche Stelle vakant sei oder wenn eine freie Stelle geschaffen werden könne, indem einem anderen Arbeitnehmer eine andere Stelle zugewiesen und die schwangere Arbeitnehmerin dann auf dieser frei gewordenen Stelle weiterbeschäftigt wird. Verbleib im Unternehmen bedeute dagegen, dass diese schwangere Arbeitnehmerin auf jeden Fall weiter beschäftigt wird.

Weiter ist die Generalanwältin der Ansicht, dass die Mutterschaftsrichtlinie von den Mitgliedsstaaten verlangt, schwangere Arbeitnehmerinnen sowohl vor der Kündigung selbst als auch vor den Auswirkungen einer gleichwohl erfolgten verbotenen Kündigung (Schutz durch Wiedergutmachung) zu schützen. In diesem Zusammenhang führt Sharpston aus, dass die geltende spanische Regelung offensichtlich vorsieht, dass eine rechtswidrige Kündigung “rechtlich unwirksam” ist. Die spanische Regierung scheine eher Schutz durch Wiedergutmachung zu gewähren, was den Anforderungen der Richtlinie nicht genügen würde

Schließlich kommt die Generalanwältin zu dem Ergebnis, dass eine Kündigung nur dann den Anforderungen der Mutterschaftsrichtlinie entspricht, wenn sie sowohl schriftlich erfolgt als auch gebührend nachgewiesene Gründe in Bezug auf die nicht mit der Schwangerschaft in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle, die die Kündigung erlauben, anführt. Im Zusammenhang mit einer Massenentlassung werde ein Kündigungsschreiben, das sich darauf beschränkt, die allgemeinen Gründe für den Personalabbau und die Auswahlkriterien mitzuteilen, jedoch nicht erklärt, warum die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin zulässig sei, weil die spezifischen Umstände der fraglichen Massenentlassung sie zu einem “Ausnahmefall“ machten, diesen Kriterien nicht entsprechen.

Fazit: Im dem Gewirr verschiedener Schutzvorschriften ist es für den Arbeitgeber nicht immer leicht, zu erkennen, welcher Arbeitnehmer wie gegen eine Entlassung geschützt ist. Die anstehende Entscheidung des EuGH wird klären, was wichtiger ist: Die Formalien, die bei einer Massenentlassung zu beachten sind oder der Schutz der werdenden Mutter. Die Generalanwältin tendiert offenkundig dazu, den Schutz der Mutter in den Vordergrund zu stellen.

© Gaby Schwede

Über den Autor: Joachim Schwede

Joachim Schwede Rechtsanwalt aus Aichach
Ihr Berater zu Fragen im Arbeits-, Sozial -, Arbeitsschutz- und KiTa-Recht.

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