Reform des Berufskrankheitenrechts ab 1.1.2021: Gezielte Prävention statt Berufsaufgabe

Joachim Schwede Archiv 2 Kommentare

Zum 01.01.2021 treten verschiedene Änderungen im SGB VII in Kraft. Diese betreffen das Recht der Berufskrankheiten. Darauf weisen Berufsgenossenschaften und Unfallkassen hin. Der Deutsche Bundestag hatte die Änderungen im Mai 2020 als Teil des siebten SGB-IV-Änderungsgesetzes beschlossen. Was wird sich ändern? Die wichtigsten Auswirkungen für die Versicherten auf einen Blick.

Berufskrankheiten sind in der Berufskrankheitenliste aufgeführte Krankheiten, die durch besondere Einwirkungen verursacht sind und denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maß als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Zu ihnen zählen unter anderem beruflich bedingte Hauterkrankungen, Lärmschwerhörigkeit, aber auch asbestbedingter Lungenkrebs. Berufsgenossenschaften und Unfallkassen als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung übernehmen die Kosten für Heilbehandlung, Rehabilitation und Entschädigung bei Berufskrankheiten.

Wegfall des Unterlassungszwangs

Bislang können einige Berufskrankheiten – darunter zum Beispiel Haut-, Atemwegs- oder Bandscheibenerkrankungen – nur anerkannt werden, wenn die Betroffenen die Tätigkeit aufgeben, die zu der Erkrankung geführt hat. Diese Voraussetzung zur Anerkennung der Krankheitsbilder als Berufskrankheiten fällt ab dem kommenden Jahr weg. Berufsgenossenschaften und Unfallkassen bauen die bestehenden Präventionsangebote für Versicherte aus, die an diesen Erkrankungen leiden. Sie beraten die Betroffenen und bieten ihnen gegebenenfalls „individualpräventive Maßnahmen“ an. Das können zum Beispiel ein Hautschutzseminar oder ein gezieltes, berufsspezifisches Rückentraining sein. Diese Maßnahmen dienen dazu, einer Entstehung, Verschlimmerung oder dem erneuten Ausbruch der jeweiligen Berufskrankheit entgegenzuwirken.

Rückwirkungsregelung

Der Wegfall des Unterlassungszwangs wirkt sich auch auf Fälle aus der Vergangenheit aus. Die Unfallversicherungsträger ermitteln von sich aus rückwirkend bis 1997 alle Fälle, bei denen es zwar aus medizinischer Sicht notwendig gewesen wäre, die krankheitsverursachende Tätigkeit aufzugeben, die Versicherten selbst ihre Tätigkeit aber nicht aufgeben wollten. Wenn die seinerzeit festgestellte Erkrankung auch über den 01.01.2021 hinaus besteht, kann sie ab diesem Zeitpunkt als Berufskrankheit anerkannt werden. Sich daraus eventuell ergebende Leistungsansprüche werden gesondert geprüft.

Darüber hinaus können auch Versicherte, bei denen in der Vergangenheit keine medizinische Notwendigkeit zur Berufsaufgabe bei den vom Unterlassungszwang betroffenen Berufskrankheiten bestand, ihren Fall noch einmal prüfen lassen.

Einwirkungsermittlungen

Die Anerkennung einer Berufskrankheit setzt voraus, dass Versicherte bei der Arbeit schädigenden Einwirkungen ausgesetzt waren. Im Fall von asbestbedingtem Krebs muss zum Beispiel nachgewiesen sein, dass bei der Arbeit Asbestfasern freigesetzt wurden, die die Erkrankten eingeatmet haben. Bei der Prüfung dieser besonderen Einwirkungen berücksichtigen die Unfallversicherungsträger nicht nur den betroffenen Arbeitsplatz, sondern auch Erkenntnisse, die an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen wurden. Dies hilft insbesondere in den Fällen, in denen die eigentlichen Arbeitsplätze nicht mehr existieren. Neu ist, dass die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen zukünftig Daten trägerübergreifend nutzen können, um Erkenntnisse über Belastungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen zu bündeln.

Hintergrund: Berufskrankheiten mit Unterlassungszwang

Der so genannte Unterlassungszwang besteht bei insgesamt neun Berufskrankheiten. Dies sind:

  1. Erkrankungen durch Isocyanate (BK 1315)
  2. Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze (BK 2101)
  3. Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen (BK 2104)
  4. Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lenden¬wirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (BK 2108)
  5. Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter (2109)
  6. Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch Ganzkörperschwingungen (BK 2110)
  7. Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (BK 4301)
  8. Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (BK 4302)
  9. Hauterkrankungen (BK 5101)

Hinweis von RA Joachim Schwede: Gerade wegen der Rückwirkungsregelung kann es sich empfehlen, die Überprüfungsentscheidung durch einen fachkundigen Rechtsanwalt begleituen zu lassen. Wie positiv sich das Ganze auch anhört – an der Tendenz der Unfallversicherungsträger, möglichst keine oder nur geringe Leistungen erbringen zu müssen, wird sich im Ergebnis nichts ändern.

Über den Autor: Joachim Schwede

Joachim Schwede Rechtsanwalt aus Aichach
Ihr Berater zu Fragen im Arbeits-, Sozial -, Arbeitsschutz- und KiTa-Recht.

Mehr über Joachim Schwede >

Kommentare 2

  1. H. Lommer

    Sehr geehrter Herr RA Schwede,

    aufmerksam habe ich Ihr Kommentar zur Reform des BK Rechts gelesen, speziell den Wegfall des Unterlassungszwangs.

    Ich stelle mir die Frage, wie mit jenen Fällen vorgegangen wird, die vor der Reform bereits durch Unterlassen der gefährdenen Tätigkeit eine Berufskrankheit anerkannt bekommen haben.

    Dürfen diese unter individuellen Präventionsmaßnahmen auch in ihren alten Beruf(schädigende Tätigkeit) zurück kehren.

    Die jetzigen Fälle bei denen durch den Wegfall des Unterlassungszwangs eine BK anerkannt wird, dürfen anscheinend im Beruf verbleiben.

    Es wäre doch daher nur gerecht,
    auch bereits anerkannten Berufskrankheiten die gleiche Option einzuräumen.

    Mit freundlichen Grüßen
    H. Lommer

    1. Post
      Author
      Joachim Schwede

      Insgesamt verstehe ich die Neuregelungen so, dass jede Altentscheidung auf Antrag überprüft werden kann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert