LSG Niedersachsen-Bremen: Blindheit ist kein Grund für die Krankenkasse zur Verwehrung eines Elektrorollstuhls

Joachim Schwede Archiv Leave a Comment

Eine Kran­ken­kas­se darf die Ver­sor­gung eines Mul­ti­ple-Skle­ro­se-Pa­ti­en­ten mit einem Elek­troroll­stuhl nicht des­we­gen ver­wei­gern, weil der Ver­si­cher­te blind ist. Seh­be­ein­träch­ti­gun­gen seien, so das LSG Niedersachsen-Bremen, kein ge­ne­rel­ler Grund, eine Ver­kehrs­taug­lich­keit bei Elek­troroll­stüh­len ab­zu­leh­nen (Beschluss vom 04.10.2021, Az. L 16 KR 423/20). Es hob die Auf­ga­be des Hilfs­mit­tel­rechts her­vor, Men­schen mit Be­hin­de­run­gen ein mög­lichst selbst­be­stimm­tes Leben zu er­mög­li­chen.

Was war geschehen?

Wegen seiner MS-Erkrankung konnte ein 57-jähriger Mann immer schlechter gehen. Zuletzt war er deshalb mit einem Greifreifen-Rollstuhl versorgt worden. Im Jahr 2018 verschlimmerte sich die Krankheit und ein Arm wurde kraftlos. Den Rollstuhl konnte er seitdem nur noch mit kleinen Trippelschritten bewegen. Bei seiner Krankenkasse beantragte er die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl. Diese lehnte den Antrag ab, da der Mann blind und damit nicht verkehrstauglich sei. Auch bei zulassungsfreien Kraftfahrzeugen wie einem Elektrorollstuhl führe Blindheit generell zu einer fehlenden Eignung. Denn eine Eigen- und Fremdgefährdung lasse sich bei Blinden nicht ausschließen. Dafür könne die Kasse nicht haften.

LSG: Weder generelle noch individuelle Gründe rechtfertigen die Versagung

Das LSG hat die Kasse zur Gewährung des Elektrorollstuhls verpflichtet. Es sei inakzeptabel, den Mann auf die behelfsmäßige Fortbewegung mit dem bisherigen Rollstuhl zu verweisen. Sehbeeinträchtigungen seien kein genereller Grund, eine Verkehrstauglichkeit bei Elektrorollstühlen abzulehnen. Es seien auch keine individuellen Gründe bei dem Mann gegeben, aus denen er mit einem Elektrorollstuhl nicht umgehen könne. Dies habe ein gerichtlicher Sachverständiger festgestellt. Etwaige Restgefährdungen seien dem Bereich der Eigenverantwortung zuzuordnen und in Kauf zu nehmen.

Dabei hat das Gericht dem neuen, dynamischen Behindertenbegriff eine zentrale Bedeutung beigemessen. Es sei die Aufgabe des Hilfsmittelrechts, dem Behinderten ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und nicht, ihn von sämtlichen Lebensgefahren fernzuhalten und ihn damit einer weitgehenden Unmündigkeit anheimfallen zu lassen.

Über den Autor: Joachim Schwede

Joachim Schwede Rechtsanwalt aus Aichach
Ihr Berater zu Fragen im Arbeits-, Sozial -, Arbeitsschutz- und KiTa-Recht.

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